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Evemaries wunderbare Welt der abrechenbaren Nonsense-Methoden

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Der zweite Teil aus der Serie „TCM in zwölf Fällen“, die in offenbar unregelmäßigen Abständen in der online-Ausgabe des österreichischen Standards erscheint, ist da!

Wer gedacht hat, dass schon der erste Teil kaum zu toppen sein würde, wird eines Besseren belehrt. Nachdem Frau Wolkenstein beim letzten Mal erklärt hat, wie man geschickt abwartet, bis sich ein Reizdarmsyndrom abschwächt und sich dabei die Zeit mit Akupunktur vertreibt, geht es diesmal darum, wie man auf ein falsch angewendetes Medikament verzichtet und gleichzeitig Zuckerkügelchen, Moxibustionen und eine Ernährungsumstellung verkauft.

Eine 34jährige Frau kommt in die Praxis und sagt: „Seit meiner Kindheit leide ich ständig an grippalen Infekten, sobald es im Herbst kühler wird. Im Sommer geht es mir gut, außer ich bin dem kalten Luftzug einer Klimaanlage ausgesetzt.”

Der konkrete Anlass für die Patienten, zu Frau Wolkenstein zu gehen, war eine erneute Infektion nach einem Langstreckenflug.
Nun ja, es gibt Menschen die besonders anfällig sind für Atemwegsinfekte. Sinnvoll wäre hier eine Angabe gewesen, wie oft es bei dieser Patientin tatsächlich dazu kommt.

Nach der Aufzählung einiger weiterer Symptome erschließt sich so langsam, worauf Frau Wolkenstein diesmal hinaus will: das Immunsystem ist schwach und muss gestärkt werden, und das geht nur, wenn man es warm macht.  Frau Wolkenstein nennt das aber anders, eingeleitet durch das alternativmedizinische Motto „Anders als die Schulmedizin…“ spricht sie davon, den Körper mittels „Regulationstherapie” ins Gleichgewicht zu bringen und öffnet damit das Schächtelchen der vielen lustigen Therapiemöglichkeiten.

Dass man sich „erkältet“ liegt aber nicht daran, dass einem kalt ist, sondern daran, dass sich bei Kälte die Viren, die die Erkältung auslösen, besser halten. Mit der Körpertemperatur hat das wenig zu tun. Die Kerntemperatur bleibt gleich bei 37°C. Das nennt man Thermoregulation. Die Infekte nach dem Langstreckenflug und durch die Klimaanlage sind vermutlich auch nicht auf eine mangelnde Immunantwort durch die Kälte zurückzuführen, sondern auf die trockene Luft, die die mechanische Barriere der Schleimhäute schwächt.

An dieser Stelle soll aber nicht auf die oft falschen Erklärungen zur Physiologie eingegangen werden, sondern auf die Methoden die Frau Wolkenstein anwendet.

1.   Moxa
Der Körper, und mit ihm das Immunsystem, soll „erwärmt“ werden. Und wie ginge das besser als mit Feuer? Die erste Methode, die Frau Wolkenstein empfiehlt, ist deshalb logischerweise die Moxibustion. Leider beschränkt sich die Beschreibung der Methode auf einen Satz:

„Das Moxa-Kraut, ein fermentiertes Beifußgewächs, wirkt wärmend und wird an jenen Akupunktur Punkten angewendet, die Müdigkeit, Erschöpfung und Kältesymptome erzeugen.“

Das ist vielleicht etwas wenig für einen Artikel, der „erklärt wie traditionell chinesische Medizin funktioniert.“ Daher an dieser Stelle der Verweis aufs Esowatch-Wiki: Moxibustion

Es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis für die Wirksamkeit und keine theoretische Grundlage für einen zugrundeliegenden Mechanismus. Je nachdem wie man „moxelt“ – Frau Wolkenstein erwähnt leider nicht wie das tut – kann es sogar zu Verbrennungen auf der Haut mit Narbenbildung kommen.

2.   Homöopathie
Samuel Hahnemann lebte vor etwa 2000 Jahren am Hofe des chinesischen Kaisers und erfreute ihn mit allerlei Zaubertricks, wie etwa homoöpathischem Feuerwerk.
Nein, das stimmt nicht. Aber weil Frau Wolkenstein ein echter Tausendsassa ist, kann auch das noch mit in einen Artikel über traditionelle chinesische Medizin rein.

„Neben dem Moxen empfehle ich meinen Patienten in der Umgebung niesender, hustender Menschen, beim ersten Anzeichen von Frösteln und unter dem Einfluss von Kälte und Wind prophylaktisch fünf Globuli von Aconitum D 30 einzunehmen.“

Der Autor dieser Zeilen war am Vorabend beim Après Ski und schätzt die Anzahl an Zuckerkügelchen, die er bei Einhaltung dieser Empfehlung hätte einnehmen müssen, auf etwa 400. Es wäre hilfreich gewesen, eine nähere Dosierungsempfehlung zu geben. Man will ja auch auf seine Linie achten.

Das schreibt der Deutsche Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ)* und so steht es auch bei den österreichischen Kollegen:

Die homöopathische Erstanamnese – die Fallaufnahme
Eine homöopathische Fallaufnahme braucht Zeit. Genau müssen die aktuellen Beschwerden, die gesamte Persönlichkeit des Patienten, die früheren Krankheiten und die der Familie erfragt werden. Besonders aufschlussreich sind für den Therapeuten der Geistes- und Gemütszustand des Patienten, seine Ess-, Trink- und Schlafgewohnheiten.

Die individuelle Mittelwahl
Keine Krankheit gleicht einer anderen, deshalb wird in jedem Krankheitsfall das geeignete homöopathische Arzneimittel individuell für den Patienten gewählt. Ausschlaggebend sind die spezifischen Symptome und die Persönlichkeitsmerkmale des Erkrankten, die in der Erstanamnese erhoben werden. In der Regel wird nur ein homöopathisches Einzelmittel zu einer Zeit genommen.

*ich frage mich immer in welcher Potenzierung ein „homöopathischer Arzt“ vorliegt

Nun gut, damit es gibt es wohl zwei Möglichkeiten:

  1. Man macht es so wie der Deutsche Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) es vorschreibt.
  2. Man handelt das in einer pauschalen Empfehlung für alles ab. Völlig wurscht, ob Mann oder Frau, Links- oder Rechtshänder, geschieden oder ledig – Individualisierung ist uninteressant, Mittelwahl ohnehin: „wenn es kalt ist oder einer niest, schmeiß dir 5x Aconitum  D30 ein und alles wird gut.“

Niemand hat die Absicht, die Homöopathen in irgendeiner Weise zu verteidigen, aber Frau Wolkenstein, Sie dürfen sich doch nicht so dermaßen lustig machen über diese Leute!

3.   Energie (Qi)

Danach wird es wieder chinesisch. Frau Wolkenstein erklärt uns endlich einmal, was dieses „Qi“ ist:
„Die Energie dafür gewinnt der Mensch durch die Aufschlüsselung von Nahrung. Deshalb werden Nahrungsmittel auch mit dem Energiegehalt oder Brennwert beschrieben, den Kilokalorien oder Kilojoule. Die TCM spricht vom Qi (Energie) der Nahrung.“

„Qi“ ist das chinesische Wort für Kalorien! So ergibt das alles auch einen Sinn! „Wir bringen dein Qi ins Gleichgewicht“ heißt nichts anderes als „Wir sorgen dafür, dass du vernünftig isst!“

4.   Umstellung der Ernährung

Frau Wolkenstein sagt, dass es „wärmende“ und „kühlende“ Lebensmittel gibt und erklärt das damit, dass bestimmte Lebensmittel, z.B. Obst und Rohkost dem Köper mehr Energie entziehen als sie zurückgeben und damit „kühlen“.  Man soll „wärmende“ Lebensmittel zu sich nehmen, um das Immunsystem zu steigern und „kühlende“ meiden.
In einem physiologischen Sinne (Energie = Kalorien) gibt es solche Lebensmittel nicht, abgesehen von kalten, kalorienfreien Getränken. Selbst bei Lebensmitteln mit geringer Energiedichte (z.B. Gurken) ist die Bilanz immer positiv.
Die Thermoregulation ist nicht davon abhängig, was man isst.
Die Vorstellung von „kühlenden“ und „wärmenden“ scheint mit dem subjektiven Empfinden beim Genuss der Speisen zusammenzuhängen.

5.   Allergien
Zum Schluss  kommt Frau Wolkenstein auf des Pudels Kern. Offenbar hat die Patientin über Jahre Protonenpumpeninhibitoren (Magensäureblocker) eingenommen, mit denen eine Allergieneigung erklärt werden kann (Jensen-Jarolim et al.), aber auch eine erhöhte Anfälligkeit für Infekte.

Frau Wolkenstein setzt Allergien mit Nahrungsmittelintoleranzen gleich. Das ist falsch. Eine Allergie läuft unter Beteiligung des Immunsystems ab, das Lebensmittel löst eine Immunantwort aus. Bei einer Intoleranz ist das Immunsystem nicht beteiligt – das Problem besteht darin, dass bestimmte Nahrungsbestandteile nicht zersetzt werden können (z.B. Lactoseintoleranz). Bei der Patientin könnte es durch unvollständige Proteinverdauung im Magen zu Darmproblemen gekommen sein, die nach der Absetzung verschwanden.

Aus dem Artikel ergibt sich nicht, wie lange die Patientin ohne Infekte geblieben ist. Eine Woche? Drei Monate? Mehrere Jahre? Im Allgemeinen gibt es recht wenige Informationen darüber, was nach Anwendung der jeweiligen Methode eigentlich passiert ist. Der Haupteffekt scheint sich eingestellt zu haben, als das mutmaßlich falsch eingesetzte Medikament abgesetzt wurde.

Insgesamt drängt sich wie beim ersten Artikel wieder die Frage auf: Was hat das jetzt alles mit TCM zu tun, bzw. wozu war die jetzt nötig?

Fazit
Aus diesem Artikel von Frau Wolkenstein ergibt sich folgendes:
Wenn Sie eine Infektion verhindern wollen, sollten Sie

  • sich mittels Moxibustion offene Wunden auf der Haut zufügen lassen
  • ihren Kalorienbedarf zumindest im Winter weitgehend über homöopathische Zuckerkügelchen decken
  • auf Obst, Gemüse, Salat und Müsli verzichten und stattdessen Schweinsbraten essen.

Anmerkung:
Die Gesundheitsredaktion ist offensichtlich etwas nervös und löscht deshalb jeden Verweis auf diese Kritik in ihrem Forum. Daher bitten wir um Weiterverbreitung!

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